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Nicole Friedrich Gasse am alten Rathaus Werne

Tradition und Zeitgeist - Baukultur in historischen Stadt- und Ortskernen

25.05.2016
Kurzbericht zur Tagung – 21. Juni 2016, Kalkar

Die historischen Stadt- und Ortskerne in NRW sind einmalige Zeugnisse der europäischen Stadt. Sie prägen die Identität des Landes Nordrhein-Westfalen mit einem reichen, von Region zu Region sehr unterschiedlich ausgestalteten baukulturellen Erbe. Aber das baukulturelle Erbe steht im Spannungsfeld, wenn es darum geht, Städte, Quartiere, Gebäudeensembles und Einzelobjekte einer Neudefinition, Neuentwicklung zu unterziehen. 80 Stadtplaner, Architekten, Denkmalpfleger und Stadtverantwortliche tagten zum Thema „Zwischen Tradition und Zeitgeist - Baukultur in historischen Stadt- und Ortskernen" im historischen Rathaus der Stadt Kalkar.

Die Tagung zeigt eindrücklich, dass es baukulturelles Erbe unter verschiedenen Gesichtspunkten zu analysieren und zu bewerten gilt, um Faktoren zur Weiterentwicklung historischer Städte und Quartiere definieren zu können. Qualitativ hochwertig Weiterbauen ist dabei kein Selbstzweck und kein Selbstläufer. Vielmehr bedarf es gesamtstädtischer Konzeptionen, die fachlich fundiert von Stadtverantwortlichen auf den Weg gebracht und mit Mut und Selbstbewusstsein seitens der Städte als faktische Rahmensetzungen in Verhandlungen mit Investoren und Eigentümern, aber auch im Diskurs mit der Stadtgesellschaft entwickelt und umgesetzt werden müssen. In zwei Podiumsgesprächen diskutierten die Referenten untereinander und mit den Teilnehmern der Tagung.

Den Auftaktvortrag widmete der Architekt und Soziologe Dr. Albrecht Göschel dem Bedeutungsgeflecht aus Städtebau, Architektur und Stadtgesellschaft. Anhand von Beispielen programmatischer Architektur und programmatischen Städtebaus der Moderne zeigte er auf, dass Architektur und Städtebau wesentliche Rückschlüsse auf das Selbstverständnis einer Epoche sowie die Anforderungen der Stadtgesellschaft zulassen. Nach Ansicht Göschels stehen moderne Ansprüche an Versorgungs- und Mobilitätsniveaus sowie die mit der Globalisierung einhergehende Weitung individueller Lebenswelten im direkten Gegensatz zu einem neuen symbolischen Raumbezug, einer wachsenden Nahraumorientierung. Dennoch sieht Göschel die Großstädte, ob ihrer funktionalen Vielfalt und der individuellen Entfaltungschancen klar im Vorteil, wenn er sagt: „Weitgehend sicher erscheint zum einen das anhaltende Wachstum der Metropolen, zum anderen die Schrumpfung des ländlichen Raumes."

Rolf Egon Westerheide, Architekt und Stadtplaner an der RWTH Aachen stellte von vornherein in Frage, ob es gelingen kann, Bautradition und prägende Gestaltungskriterien für Orte, Landschaften und Regionen ausfindig zu machen. Bezugnehmend auf das Forschungsprojekt „Baukultur in der Eifel" stellte er dar, welche umfassenden Untersuchungen notwendig sind, um die Baukultur eines speziellen Ortes zu fassen und regional abzugleichen. Allein die regionale Zuordnung - zwischen Kulturregionen, Kreisen und der Sicht des Landesentwicklungsplans - sei wissenschaftlich nicht eindeutig. Ausdrücklich unterstrich er, das traditionelle Bauweisen immer zum integrierten Teil der lokal leitenden Gestaltungsidee gemacht werden sollten, die Neues und Altes, Ergänztes und Vorhandenes, Materialität und Form, in Beziehungen setzt.

Auch der Vizepräsident der Architektenkammer NRW, Michael Arns betonte in seinem Vortrag zu „Bautradition in Praxis und Gegenwart", den regionalen und lokalen Baubestand als Ausgangspunkt einer regional charakteristischen, identitätsstiftenden Gegenwartsarchitektur zu verstehen. Denn das baukulturelle Erbe prägt die Menschen, gibt ihnen Identität und Sicherheit, Heimat. „Dies sei keineswegs emotionale Schwärmerei Einheimischer sondern unbedingte Voraussetzung für die Sicherung gewerblicher Standorte und die Attraktivität künftiger Arbeitsplätze", so Arns in seinem Vortrag. Arns untermaute sein Verständnis von Bestandserhalt- und -entwicklung anhand einprägsamer Bilder und Bespiele aus der Region Südwestfalen.

Ganzheitliche Strategien des Städtebaus, die das bauliche Erbe der Stadt aufgreifen um Stadträume als Ensemble gestalten - dies ist für Prof. Jürg Sulzer, Architekt und Stadtplaner aus Zürich die grundlegende Definition von Stadtbaukultur. Einer Stadtbaukultur, die den Bürgern Kontinuität und Geborgenheit vermittelt. In der neuen Stadtbaugestaltung darf es nicht um eine reine Reproduktion historischer Zitate gehen, sondern um deren Interpretation und Weiterentwicklung. Ensemble-Städtebau basiert nach Sulzers Verständnis aus dem intensiven Zusammenspiel von Stadtraumbildung und identitätsstiftenden Häusern. Um damit eine vielschichtige Stadtbaukultur und Stadtbaukunst entwickeln und umsetzen zu können, bedarf es Fachkompetenz und Kreativität.

Anhand von realisierten Beispielen stellte die Architektin und Professorin Mara Pinardi Neubauten in historischen Kontexten vor. Dabei konzentrierte sie sich auf Projekte, die im bewussten Kontrast zu den historischen Stadträumen entwickelt wurden und hinterfragte deren Berechtigung. Zentrale Frage ihrer Auseinandersetzung allerdings war, ob auch die Verwendung zeitgenössischer Materialien - bspw. von Stahl und Glas - einen qualitativen Beitrag zum neuen Bauen im historischen Kontext leisten können. Qualitatives neues Bauen - für Mara Pinardi eng verknüpft mit Architekturwettbewerben, Gutachterverfahren, Architektur- und Bauherrenpreisen sowie Gestaltungsbeiräten.

Die Stadt Arnsberg ist in dieser Hinsicht Paradebeispiel. Vor gut 15 Jahren hat die Stadt im Zuge der Neujustierung der Stadtentwicklungspolitik das Thema Baukultur auf die Agenda gesetzt. Baukultur ist durch stringente Beteiligung in Verwaltung, Politik und weiten Teilen der Arnsberger Bürgerschaft zu einem Begriff geworden. Eine Vielzahl von Projekten stellte der Planungsdezernent der Stadt Arnsberg Thomas Vielhaber vor, die durch kommunale Angebote einer umfangreichen Bau- und Gestaltungsberatung sowie die Arbeit des Beirates für Stadtgestaltung begleitet wurden und heute die Effizienz des „Arnsberger Modells Baukultur" verdeutlichen.

Neben den inhaltlich sehr qualitätvollen Beiträgen rundet das historische Ambiente des Kalkarer Rathauses mit seiner bewegten Geschichte sowie die baukulturell anschaulichen Exkursionen durch den historischen Stadtkern Kalkars nach der Mittagspause das Tagungsprogramm in hervorragender Weise ab.


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